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Munki

Aktualisiert: 19. Jan. 2021

Bild von Mystic Art Design auf Pixabay

Munki

Kennen Sie nicht, sagen Sie? Schade! Aber vermutlich kennen Sie ihn doch, ohne es zu wissen. Denn wer Bücher liest, dem ist Munki wohl-bekannt. Zugegeben, er tritt in vielerlei Gestalt auf und in der Regel unerwartet. Man kann ihn weder engagieren noch bestellen und schon gar nicht korrumpieren und auch eine freundliche Einladung ist keine Gewähr für sein Erscheinen. Umso erfreulicher ist es darum, wenn er erscheint.

Da Munki vielgestaltig ist, kann ich an dieser Stelle nur "meinen" Munki beschreiben. Es ist ein kleiner, alter Mann mit dicker Knubbelnase und schütterem Haar. Meistens steckt er in einem abgetragenen Wollmantel mit hochgeschlagenem Kragen und geht leicht nach vorn gebeugt. Und wenn ich genau hinhöre, dann begleitet ihn ein feines Geigenspiel, zarte dahinfließende Töne, die meinen Geist sanft hin und her wiegen wie ein Kind in der Wiege.

Zur Person selbst vermag ich leider nicht viel zu berichten. Nur einmal begegnete mir sein bürgerlicher Name in einer alten Urkunde: er hieß Carolus Josephus Munkelmann und war ein Dorfschullehrer. Alles weitere hat das Dunkel der Geschichte verschluckt. Trotzdem ist er für mich sehr lebendig und ein willkommener Lesefreund.

Wenn ich nämlich ganz in ein Buch vertieft bin, begeistert von einer Beschreibung oder versunken in fantastische Welten, verliebt in einen Protagonisten oder ergriffen von einer Lebensbeschreibung, elektrisiert von einer Erkenntnis, erschüttert von Leid und Unglück oder fasziniert von vergangenen Zeitaltern, vielleicht auch erhöht mit rauschenden Schwin-gen durch die Lüfte schwebend oder gefesselt in einem Kerker liegend, dann, in diesen intensiven Lesemomenten nämlich, kann es geschehen, dass mir Munki begegnet. Er schützt mich vor dem schneidenen Wind oder gibt mir Rückenwind. Er flüstert mir zu in alten, mir unbekannten Sprachen, er kratzt unverständliche Formeln mit einer Gänsefeder auf altes Pergament oder raucht ein Kraut, das einen beruhigenden Vanille-duft verströmt. Und wenn er manchmal seine Geige hervorholt, dann ist mir, als ob die daraus hervorgezauberten Töne sagten: "Lesen ist leben, Leben ist lesen."

Natürlich weiß ich, dass man allerlei munkelt. Einerlei! Für mich ist Munki mein wunderbarer Lesebegleiter, der das Lesen tiefer macht und auf geheimnisvolle Art zum Erlebnis werden lässt.

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